ENSONIQ – ASR-10 – FX und DSP
Nachdem wir den Synthesizer im ASR-10 kennen gelernt haben, folgt nun der Teil, den die meisten Hardware Sampler nie hatten – der Effektprozessor.
ENSONIQ hat dem ASR-10 nämlich einen Stereo-Effekt-Prozessor spendiert, der 50 verschiedene Effekt-Algorithmen anbietet. Das reicht von Hall in verschiedenen Grössen und Darreichungsformen über Delays, Verzerrung, Filterung, Gitarren-Amp-Simulation, Pitch-Shifting, Enhancer, Ducker, Kompressor, Expander u.s.w. Sogar eine Resonanzfilter-Emulation und diverse Verkettungen der Einzeleffekte gibt es.
Den FX Prozessor kann man auch als eigenständiges Gerät für externe Instrumente verwenden oder mitsamplen. Es gibt auch ein Resampling, sprich ein Aufnehmen des eigenen Ausgangssignals mit Effekt, womit man effektvoll verwurstete Klänge wieder zu Samples erstarren lassen. Oben drauf sind verschiedene Effektparameter in Echtzeit modulierbar, wodurch der Effektblock zum Teil der Synthese-Engine werden kann.
Plug In Effekte
Kennt einer die WAVeBOY Industries – Effekte? Mit dem ASR-10 war es nämlich möglich, neue Effektalgorithmen über Diskette oder SCSI nachzuladen, ähnlich wie VST in Cubase. Dadurch bekam der Sampler zusätzliche parallele Effektwege, neue Multieffekt-Verkettungen, Audio-In-Effekte, neue Reverbs oder ganz andere Möglichkeiten dazu. Dazu mal ein paar Beispiele.
Sonic Demolition
Dies war eine Art Klang-in-Rauch-Auflöser, mit dem sich Heiserkeit und andere schlimme Halsentzündungen oder die totale Zerstörung auf eingehende Samples anwenden ließen. Bewerkstelligt wurde das mittels Granularsynthese, Lo FI oder Pitch Warp.
Resonant Filter
Weil das Instrument schwer an Filterresonanz-Entzug litt, gab es noch ein Resonanzfilter in 4-Pol-Charakteristik. Das konnte anschlagdynamisch die Summe der eingehenden Signale filtern, eigene eingebaute Hüllkurve inklusive. Das klang überzeugender als die VCF-Simulation aus den Werkseffekten. Einem richtigen analogen Filter ebenbürtig war das aber nicht, schon deshalb, weil das ganze nur monophon zur Verfügung stand und zum anderen klingen echte analoge Filter dann doch noch eine Ecke fleischiger.
Echtzeit-Timestretching
Gar nicht übel, weil unterirdisch Artefakt-behaftet klangen die Echtzeit-Timestretching-Effekte. Es gab auch einen 3-stimmigen Harmonizer, mit dem man eingehende Stimmen mit dem Spiel auf dem Keyboard begleiten konnte.
FM+FX
Eine besondere Freude war mir persönlich der FM-Effekt. Damit modulierte das eingehende Material die eigene Frequenz, oder durch Panning in eine Extremposition Links oder Rechts wurde ein beliebiges Sample zum Carrier oder Modulator mit allen dazugehörigen Synthesemöglichkeiten im Vorfeld. Damit konnte man die Steuerung von FM-Stärke, Stimmung der Operatoren, Filterung u.s.w. der Synthese-Engine überlassen während der Effekt die reine Frequenzmodulation abwerkelte. Herzliche Grüße an Yamahas SY77/99/TG 77. Das ergab unendliche Möglichkeiten der FM-Synthese, allerdings monophon, wobei polyfones Spiel dann eben einen oder beide Operatoren zu einem mehrstimmigen Carrier oder Modulator aufaddierte. Durch Resampling konnte damit zudem neues Ausgangsmaterial für die Synthese-Engine des ASR-10 gewonnen werden.
The Voder
Zuletzt erwähne ich noch den Vader, mit dem man Samples mit ausreichend viel Obertönen das Sprechen beibringen konnte. Ein ausuferndes Thema, denn nicht nur Vokale, nein auch Mitlaute ließen sich aufprägen. Tolle Sache. Dafür hatte der Voder bis zu 64 sogenannte Frames mitgebracht. Diese bestanden aus je 3 Filtern mit einstellbarem Hub, einstellbarer Frequenz und Breite. Die Frames konnte man auf der Tastatur „spielen“ oder per Zufall durchwürfeln. Jeder Frame war editierbar. Somit liessen sich eigene Sprachen erfinden, so man denn Lust und Zeit hatte.
OS 2 – Effekte
Nein, das hat nix mit Apple oder mit Sauerstoff zu tun. Mit dem OS 2.0 lieferte ENSONIQ anno dazumal auch 12 neue Effekte für den internen Prozessor mit. Diese wurden aber nicht beim Systemstart geladen, sondern mussten einzeln nachgeladen werden. Das ist schade, aber damit kam man dann auf stattliche 62 Effekte. Das Besondere daran war, dass es ich um 44 kHz Effekte und Kombinationen handelte und dass sich damit die Qualität gegenüber den Standard-Effekten noch mal hörbar verbesserte. Ausserdem war die Steuerung vieler, wenn nicht aller Effekt-Parametern mit wählbarer Intensität und Quelle eingebaut. Ich bin eben jedenfalls gerade ziemlich baff, was da raus kommt. Man höre und staune:
DSP-Funktionen / Offlineprozesse
Oh je, jetzt fängt er schon wieder an, Fachchinesisch zu faseln, aber halt, es lohnt sich!
Damit beginnt jetzt eine andere Form der Magie, die Samples bis zur Unkenntlichkeit in neue, ungehörte Welten zu tragen. EMU Systems hatten in ihren Samplern zur damaligen Zeit die Transform Multiplication im Angebot, ein aufwändiger Prozess, der 2 Samples zu einem neuen zusammenrechnete. Die Ergebnisse hatten etwas Vocoder-artiges, sprechende Maschinen und andere Dinge waren möglich. Sowas hätte ich damals gerne gehabt, aber naja.
ENSONIQ jedenfalls gab dem ASR-10 diverse Autoloop-Prozesse und ein sehr bedächtig lang rechnendes Timestretching mit in den Quellcode. Timestretching braucht hier schon bei geringster Qualitätseinstellung mehrere Minuten, um zu einem Schluss zu kommen. Hat man dann aber die passende Länge gefunden und erhöht, wie im manual vorgeschlagen, die Qualität der Rechenarbeit, kann man eine Tasse Tee oder einen Einkaufsbummel in die entstehende Denkpause einbauen. Dankenswerterweise zeigt der ASR-10 bei diesem Prozess an, wieviel Prozent des Samples er schon gründlich oder oberflächlich durchdacht hat, damit man bei der Stange bleibt.
Kramt man weiter durch die Funktionen findet man: Es gibt die Möglichkeit des destruktiven Sample-Schnitts, des Normalizings, also des Anpassens der Spitzenlautstärke des Samples auf beliebige Zielwerte und der Sampleraten-Herauf- oder Herunter-Rechnung. Wenn man noch weiter in den Command-Schubladen des Gerätes wühlt, findet man dann noch weitere Werkzeuge aus der Rubrik „Schere“, „Klebstoff“ und verschiedene Zwittern daraus.
Granularsynthese
Womit wir bei einem besonders spannenden Prozess, dem „Synthesized Loop“ angekommen sind. Und zwar deshalb weil man damit das Ausgangssample in kleine Fetzen schnippeln und diese wieder zu einer nebulösen Klangwolke zusammensetzen konnte. Das kennen wir von der Granularsynthese. Der Unterschied ist, dass sich die Klangwolke nicht in Echtzeit steuern ließ. Der Klangnebel bildete ein in sich bewegtes Spektrum oder eine glatte Endlosschleife, die man als Ausgangsgeräusch für eine weitere Bearbeitung mit den Syntheseparametern verwenden konnte. Die Körnigkeit oder Nebelhaftigkeit ließ sich in 5 Stufen vorwählen und die Überblendungszone in Prozent einstellen, so dass z.B. bei Sprache zwischen halbverständlichem Wortgemenge und ätherischem Gehauche in Zwischenstufen balanciert werden konnte.
Klangbeispiele DSP-Funktionen
Auto-Loops
Timestretching
Ich bin beim Timestretching ehrlich gesagt an meine Grenzen gestoßen, denn nach 1,5 Tagen Rechenarbeit bot mir der ASR-10 allen Ernstes als Hi-Quality-Version ein Sample mit Knacksern an. Zugegebenermaßen klang die nicht verknisterte Passage etwas besser als die niedrigste Quali-Stufe. Beim Verkürzen von Samples lieferte die beste Qualität einfach das Originalsample. Also ewig Warten für Nichts?! Ich habe daraufhin die Lust an weiteren Experimenten verloren.
Convert Sample Rate
Also in dieser Sektion fielen mir schon wieder einige Ungereimtheiten auf. Es scheint als hat das Betriebssystem ein paar Bugs, was für diese Zeit wohl nichts besonderes war. Vor allem kann man Samples bis auf 312 kHz Sample-Rate hochrechnen, was keinen hörbaren Effekt verursacht. Das Manual spricht von maximal 48 kHz.
Fehler, Fehler
Ich erinnere mich in dem Zusammenhang erinnern, dass ich den Sampler zwei Mal zur Reparatur gebracht hatte, weil ich dachte, da wäre ein Kontakt lose. Die Kiste schmierte nämlich regelmässig mit dem Error 144 ab oder erfreute mich mit anderen Abstürzen. Irgendwann allerdings gab mein Fachhändler zu, dass ein Sampler eben ein Computer ist und damit nicht perfekt oder fehlerfrei funktioniert. Genau wie ich übrigens.
Sinn oder Unsinn
Folgendes: ENSONIQs ASR-10 vernichtet unter Umständen erhebliche Quanten an Lebenszeit, macht allerdings leider auch erheblich viel Spaß. Ich bin sicher, dass sich einiges dessen, was sich hier bietet irgendwie auch in der DAW mit PlugIns hingebogen werden kann, aber sicher nicht alles. Allein der Import von ASR-10 Samples in Kontakt belegt diese Vermutung teilweise. Deshalb einen Punkt auf der „Sinn-Skala“.
Ausserdem geht von der Hardware irgendein Sog aus. ich hatte es ja schon angedeutet. Es ist eben so, dass da eine Maschine steht, mit der man irgendwie in Interaktion treten möchte. So etwas passiert mir mit Software zwar auch, aber die Sogwirkung ist meist viel schwächer. Warum das so ist, weiss ich nicht. Vielleicht ist das sowas wie ein Piloten-Cockpit-Dingens? So ein „kleine Jungs“-Traum, der sich verwirklicht. Das fluoreszierende Display tragt scheinbar auch etwas dazu bei.
Übrigens, dass der ASR-10 kein Grafikdisplay hat ist herzlich egal. Die Bedienung funktioniert einfach. Das Finden von Loop-Punkten zum Beispiel geht nach Gehör ganz wunderbar von der Hand ins Ohr.
Was mich jetzt noch interessiert ist: Gibt es denn irgendeinen klanglichen Vorteil gegenüber Softwaresamplern?
Nachteile gibt es ja schon genug. Allein der langsam steigende Anschaffungs-Widerstand, das hohe Gewicht, der Platzbedarf, das Timing oder die Wartezeit bei DSP-Prozessen können einem das Abenteuer „Hardware-Sampler“ schon mal verhageln. Ich lasse diese Frage vorerst mal offen, denn das könnte Stoff für eine weitere zeitfressende aber vor allem spassige Folge zu dem Thema werden.
Fachchinesisch
Wenn ich jetzt auf mein Flesch Reading-Barometer sehe, dann sehe ich ganz schwarze Wolken aufziehen, denn es mahnt, weniger Fremdworte zu benutzen. Versteht mich noch jemand?
Tatsächlich ist so ein Sampler ist ein ziemlicher Haufen Fremdwort-Gesülze, zusammengelötet in ein Stahl-Chassis. Wenn jemand plant, ohne jede Ahnung damit Musik zu machen, steht ihm ein holpriger Weg der Erkenntnis bevor. Lernkurve nennt sich das. Und ich weiss, wovon ich schreibe, denn vor dem ASR-10 hatte ich wenig oder keine Vorkenntnisse. Ausserdem ist Zugang zu neuen Klängen mit Druck-Knöpfen und einem einzigen Data-Entry-Schieberegler sorgfältig vor halbherzigem Zugriff geschützt. Allerdings darf man nicht vergessen, das Musik-Synthese ohnehin ein Ergebnis der Forschung ist, wenn auch ohne weissen Kittel und ohne die Verpuffung giftiger Gase. Denn eines ist klar: Bevor ich hier in meinem Studio lustig irgendwelche Samples digital zermale, muss das erst mal jemand erfunden haben. Und dazu sind dann wieder akademische Vorkenntnisse und Fachchinesisch äussert förderlich.
Vielleicht nähert man sich so einer Maschine wie einer Fremdsprache. Dann nämlich stellt man fest, dass es doch keine so schwierige Grammatik gibt und man sich doch nicht so viele Vokabeln merken muss, wie anfangs gedacht.
Genug gefaselt. Ich stelle folgendes fest: Der ENSONIQ ASR-10 ist ein Instrument ! Es klingt, es fasziniert und ich fand die Zeit, die ich mit seiner Erforschung verbracht habe nicht vergeudet. Und überhaupt bin ich jetzt froh, diesen Blog-Eintrag verfasst zu haben, denn ganz nebenbei inspirierte mich das zu neuen Experimenten.
Links
WAVeBOY Industries Effects for ENSONIQ ASR-10 und EPS 16+